Können Blüten böse sein?
Klara Wallner
OK, reden wir zunächst über Charles Baudelaire, dessen Gedichtband-Titel „Les Fleurs du Mal“ von Tine Furler, leicht abgewandelt, für ihre neue Werkserie und als Ausstellungstitel ausgeliehen wurde. In ausgefeilten kurzen Gedichten, die der Lyriker zwischen 1857 und 1868 verfasst hat, lässt sich Baudelaires kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft ablesen.
Sein bedeutender Gedichtband ist in sechs metaphorisch betitelten Abteilungen aufgeteilt. Es ist keine einfache Anthologie, vielmehr ein durchkomponiertes Ganzes, dessen Grundstimmung der Weltschmerz schlecht hin ist. Überdruss, Mutlosigkeit, Sünde, Verdrossenheit oder Melancholie in der Großstadt sind des Dichters Themen, die er überwiegend morbide interpretiert. Christlich-platonische Tendenzen zwischen den Mächten des Hellen und Guten und denen des Dunklen oder Satanischen sind bei Baudelaire eng verbunden mit der großstädtischen Langeweile. „Die Blumen des Bösen“ lassen sich als Übersetzung der Faszination des Ekelhaften und Bösen (Mal) lesen, das im krassen Gegensatz zur Tugend als Ideal und die Sehnsucht danach (Fleur) steht.
Im Französischen heißt Fleur sowohl Blume als auch Blüte. Blüten können also böse sein, wenn sie mit Widerwillen, Unlust und Verdruss verbunden sind, um der Entfremdung gegenüber dem Dasein als Synonym zu dienen. Dennoch, durch die Beziehung von Blüte (Fleur) und Böse (Mal) wird verdeutlicht, dass durch die Kunst das Böse in Schönheit verwandelt werden kann. Das Schöne wächst sozusagen aus dem Bösen hervor. (1)
Womit wir bei Tine Furler angekommen wären. Die Künstlerin knüpft mit ihrem neuen Werkzyklus „Fleurs du Mal“ an vorausgegangene Werkgruppen an. Nach wie vor ist Furlers Prinzip die Collage, nur ein wenig verschlüsselter als früher. Anstatt geklebter surrealer Bildwelten, die später zu bestickten Abbildungen von Pin Ups führten, nimmt Furler nun das stets gefundene Fotomaterial, um in der japanischen Origami-Technik Blüten herzustellen, wodurch gefaltete Collagen entstehen. Die Fotos unbekleideter Frauen werden dermaßen gefalzt, dass die Blüten lediglich in Nude-Tönen daherkommen, wodurch die Nacktheit der Abgebildeten auf ihre Haut reduziert wird. Haut als Projektionsfläche für Sex, Sünde und Begierde, für Ekel und Melancholie. Lauter doppeldeutige Begriffe, die sich nicht ausschließlich positivieren lassen. Es sei denn, man betrachtet es nach der Umkehrung der Methode. Versuchen wir es mit Claude Chabrol, der sich ebenfalls den Titel „Les Fleurs du Mal“ ausgeliehen hat, um mit hintergründigem Schmunzeln eine Variante seines Lieblingsthemas, die Dekadenz der Bourgeoisie, zu verfilmen. (2)
Auch Tine Furler thematisiert augenzwinkernd die allgegenwärtige Dekadenz des Bürgertums und toppt das Ganze, in dem sie die verführerischen Origamiblüten an organische Zweige heftet und die Kunstblumen in Vasen arrangiert. Die Keramikvasen werden von Tine Furler in einem aufwändigen Prozess von Hand gefertigt und gezielt ihrer inhaltlichen Bestimmung zugeordnet.
Hier kommt Charles Baudelaire wieder ins Spiel. Seine Gedichte wie „Le Poison /das Gift“, „La Fontaine de Sang /Der Blutbrunnen“ oder „Obsession /Besessenheit“ sind Furlers Quellen der Inspiration und gleichsam die Titel ihrer Skulpturen. Ihre „Blumen des Bösen“ spiegeln die Spielregeln der Gesellschaft wieder und um die Diskrepanz zwischen dem Guten und dem Bösen aufzuzeigen, werden die Skulpturen auf glänzenden, werkimmanenten Sockeln platziert. Und hier ist sie wieder, die Frage: „Können Blüten böse sein?“ Für Furlers Blüten gilt ein klares nein. Selbst wenn die Skulpturen mögliche Inszenierungen der Faszination des Absonderen und Bösen sein könnten, so wird auch hier durch die Kunst das Böse in Schönheit verwandelt.
1) Kurt Kloocke in: Nachwort in der zweisprachigen Reclam-Ausgabe (1980) von „Les Fleurs du Mal“, die Monika Fahrenbach-Wachendorff übersetzt hat.
2) La fleur du mal / Die Blume des Bösen – Regie: Claude Chabrol, 2003