Wer bist Du, wenn Du schon hier bist? – Wir Betrachter haben uns daran gewöhnt, daß die Produktion von Kunst inhärente Fragen aufwirft und am Ende das Werk sogar maßgeblich gestaltet. Doch wie bei einem Schlitten, dessen rasante Fahrt wir betrachten oder dem Genuss eines Weins, bleibt uns das Tun hinter der Erscheinung verborgen, solange wir uns nicht selber in den Eiskanal wagen oder Reben züchten. Künstler, deren Werk auf dieser Feindynamik des Nachvollziehbaren fusst, nennt man gerne „Artists’ Artist“. Und obwohl eine Menge der Probleme und Binnenentscheidungen in Lutz Driessens Werk genau jenen Bereich berührt, wirkt sein Schaffen unmittelbar.
Vielleicht, weil ein guter Teil seiner Arbeiten dem Gegenständlichen verbunden bleibt. Hier stellen sich die Dinge ungelenk nebst der assoziativen Wahrnehmung in den Weg.Was sie da machen: sie bereiten Probleme und schaffen Anmut. Ein fliegender Balken, vor einem gesättigten Blau, während der Farbauftrag, im Dienste des Motivs, mal die Struktur der Leinwand offenbart, mal neue Strukturen schafft. Es sind Alltagsobjekte, denen wir begegnen, seltener Menschen. Dafür aber ihre Ausscheidungen. Scheisse. Kot. Jenes Sujet, welches Driessens Malerei der letzten Zeit dominiert, scheint nicht dazu angetan, malerische Entwicklungen hin zu einer Eleganz der Linie und Komposition zu dokumentieren. Aber genau dies gelingt ihm. Der Affekt in der Linie, der sich vor allem in seinen Darstellungen von Menschen offenbart, ist hier einer Klarheit gewichen. Variationen des Motivs begeben sich auf die Suche nach der Perfektion: eine ultimative Form im Sinne Platons Ideenlehre. Eine Metaphysik anhand des Kothaufens aus präzisen Schichtungen und in klaren Konturen. Wie von Kufen gezogene Konturen, die ihm Freihand gelingen in symetricher Akkuratesse, welche zugleich von weiteren Bildelementen ins Kippen gebracht wird oder stabilisiert, gerade wie es das Bild verlangt, um auf eines Messers Schneide zu balancieren. Das Motiv befördert jenen Balanceakt. Sein forschendes Interesse an solchen eingefrorenen Dynamiken vermögen Lutz Driessens skulpturale Arbeiten eindringlich und zugleich humorvoll zu vermitteln. Körper und Rand, Zigarette und Hand, Spannung und angedeutete Auflösung fesseln den Blick.
Nahezu amorph erscheint dagegen das grafische Werk. Zugleich ist es enorm bewegt, an einen Tanz oder an Explosionen erinnernd, wobei sich die klaren Konturen seiner Malerei und Plastik mit unscharfen Bereichen abwechseln, Formen, die sich sachte auflösen oder als eine andere, tiefere Ebene erscheinen, im Abbildlichen vielleicht, wie von milchigem Glas bedeckt. Darüber klare, geometrische Strukturen, eine augenfällige Ordnung, deren Sinn keine pragmatische Begründing kennt, sondern gerade an ihrer Auflösung arbeitet. Bruce Naumans Video “Setting a Good Corner” (2000), in dem er im Steppenland eine Zaunecke errichtet, mag in den Sinn kommen.
Lutz Driessens Kunst weiß um das Ideale, den Goldenen Schnitt, die wohlgeformten Proportionen, deswegen funktioniert sie so augenfällig. Ebenso sichtbar: sie sucht nach mehr, dehnt und verschiebt, bringt ins Wanken um das Stürzen zu stützen. Ein Manierismus, der mitunter an Robert Delaunay erinnert, aber dessen Atemlosigkeit mit einer konzentrierten Muße ersetzt, die leuchtenden Farben reduziert und dem Einsturz zuvor kommt. Der Trick ist, daß nur das Ideale einstürzen kann, alles Andere ist schon im Fall. Auf dieser, vielleicht unserer Kultur geschuldeten Wahrnehmungsweise fusst seine forschende Arbeit entlang der Linien der Formen.
Warum wir mehr Zeit vor Driessens Arbeiten verbringen, als vor denen so vieler zeitgenössischer Künstler: weil er eben kein Artists’ Artist ist, sondern uns in das Werk hineinlässt und sei es zum Preis der angeregten Betrachtung von einem Haufen Scheisse. Eine nie spannungsfreie Meditation. Doch eben jene Spannungen und ihre Realisationen in Form, Farbe und Textur bilden die Basis eines sich fortwährend entwickelnden Œuvres.
Als selbstverständlich meine ich auch folgende Gesichtspunkte anzuerkennen, wenngleich diese vermeintlich banal erscheinen: Die richtige Wahl, id est, das Verhältnis von Farbspender und Farbträger (Pinselbreite zu Bildformat) bzw. Bildgröße. Ebenso das Verhältnis von Größe des Realgegenstandes zu Bildgröße. Dies führt unweigerlich zu Fragen der Maßstäblichkeit: So erzeugen die Arbeiten, in denen Blätter auf Blättern auf einem Blatt Papier oder Leinwand dargestellt sind, tautologische Kurzschlüsse; in Ihrer schlichten Beharrlichkeit verweist diese Form von Tautologie auf die Vergeblichkeit von Darstellung. Warum so groß, obschon der Realgegenstand sehr viel kleiner ist und weshalb ist die Binnenstruktur des Blattes derartig schematisiert, wenngleich doch gerade die Blattform (man denke an Klee und Blossfeldt) derart viel Spielraum für Formgenese bereithält
Dergleichen Einwände ad acta legend, könnte man die Zeichnung als zu groß geratene, vorbereitende Skizze verstehen. Die dabei einhergehende Selbstverständlichkeit einer Licht und Schatten gebenden Schraffur wird durch Fehlabläufe in der Mechanisierung unterwandert. Die Hand kommt der erforderlichen Stupidität einer adäquaten Schraffur nicht nach. Lutz Driessen beschreibt diese Form von Autonomie durch Automation trefflich: „Keine Imitation von Linie, nicht referentiell, nicht abgebildet.“
Es drängen sich unwillkürlich historische Parallelen und Analogien auf, die letztlich nur die Eigenständigkeit der Arbeiten zu Tage treten lassen: In Henri Matisse „La leçon de piano“ von 1916 werden in den drei Figuren verschiedene Darstellungsmodi einer Bildwirklichkeit aufgeführt, die im Gegensatz zum durchgängigem Grau des Bildes ein schillerndes Spiel zwischen Natur, Geometrie, Eigenzitat und Dissonanz treiben, ohne dabei das Bildganze zu negieren: Sie sind auf Ihre Art und Weise unmißverständlich selbstverständlich. Was Matisse makroskopisch in Raum – Figur – Interieur – Künstler – Spannungsfeld demonstriert, ist mikroskopisch in grundsätzlichen Gestaltungsmodi bei Lutz Driessen erfahrbar: Linien und Flächen verzahnen sich wie windschief aneinanderstoßende Erdplatten. Die daraus resultierenden Linien und Flächen haben Ereignischarakter, deren Resultat in irrationalen Zwischenbereichen zu verorten ist. Bei einem weitern Klassifizierungsversuch fällt der Blick auf das Spätwerk von Willem de Kooning. Einem Mäuschen in der Werkstatt gleich, bietet Robert Storr einen entwaffnenden und intimen Blick in de Koonings Atelier. So weiß Robert Storr von „zurechtgeschnittenen Farbentferungspinseln zu berichten, die er (de Kooning) und Gorky benutzten, um ihre Miró ähnlichen Formen einzugrenzen“(1). Dergleichen erhellende Ausführungen finden sich im Text von Storr zu Hauf, welche am idealisierten Monument de Koonings ein wenig rütteln.
Lutz Driessens Linien hingegen haben weder die Achterbahndynamik eines de Kooning noch die Realitätsmodi wiedergebende Immanenz eines Matisse. Sie sind letztlich nicht nur dennoch, sondern gerade der Versuch, „der Komplexität in der Einfachheit beizukommen“.
David Zahnke
(1) Robert Storr, in: „Willem de Kooning. Die späten Gemälde, die 80er Jahre. “, Kunstmuseum Bonn, 1996, S. 71.
Das reduzierte Vokabular wirkt wie eine Hommage an die künstlerischen Ansätze der frühen Moderne, in denen die gestalterischen Grundlagen systematisch untersucht wurden.
Tritt man näher, sieht man, dass die Bilder ausgesprochen vielschichtig aufgebaut sind. Dabei decken die einzelnen Ebenen einander nicht einfach ab, sondern beim genauen Hinsehen lassen sich die verschiedenen Stufen der malerischen Entwicklung ablesen. Die Formensprache der Gemälde changiert zwischen den Polen Ungegenständlichkeit und Figuration; manch- mal sind einzelne Dinge zu erkennen, oft finden sich auch rein geometrische Elemente.
So zeigt das Gemälde „Blatt auf Blatt“, wie der Titel lapidar lautet, zwei übereinander liegende Blätter auf blauem Hintergrund. Doch diese knappe Beschreibung ist schon vorschnell. Die obere Blattform besitzt zwar elegant geschwungene Linien, die fern an ein Lindenblatt erinnern, und mündet in einen gebogenen Stil. Das Blatt darunter sieht allerdings ganz anders aus. Als Stiel fungiert ein rotes Rechteck, das sich nicht mit der Blattspitze in Verbindung bringen lässt; die Gesamtform des Motivs passt sich mehr dem Bildrand an, als dass sie dem Gegenstand verpflichtet ist. Unter dem oberen Blatt scheint ein helles Rechteck durch, das mit dem rechtwinkligen Bildfor- mat korrespondiert. Auch die Linien, die die Motive dunkel umranden, sind aus dem Malprozess entwickelt und bilden so ein weiteres Kompositions- element. So geht es in den Bildern weniger darum, etwas abzubilden, viel- mehr werden sie selbst zu – dreidimensionalen – Objekten. Hier führt ein Weg zu den Plastiken, die eine ganz eigene Werkgruppe bilden. Überraschend sind die Zeichnungen. Anstatt kleiner Skizzen tauchen hier plötzlich riesige Formate auf. Sie übernehmen die Formen der Gemälde, basieren jedoch nicht auf Verdichtung, sondern auf Transparenz. Die einzelnen Elemente scheinen wie aufgefächert in einem weiten Bildraum zu schweben. Um diese Tiefe zu suggerieren, nutzt Driessen die Möglichkeiten des Graphits vom tiefen Schwarz bis zum leichten Hellgrau.
Mit seinem elementaren Vokabular buchstabiert er die Möglichkeiten der Malerei aus. Dabei setzt Driessen nicht auf die Perfektion glatter Ober- flächen, auf die Eleganz einmal gefundener Lösungen; vielmehr lässt er Pinselspuren und Farbmaterie sichtbar stehen und so den Betrachter an seinen Überlegungen und dem Arbeitsverlauf in gewisser Weise teilhaben. Voraus- setzung ist jedoch ein geduldiges Sich-Einlassen auf die Grammatik des Bildes; eine Anforderung, die angesichts der stetigen Beschleunigung des gegenwärtigen Bildkonsums geradezu provozierend erscheint.
Iris Cramer in: „Lutz Driessen“, Hrsg. Deutsche Bundesbank, Frankfurt/Main 2012
1976 born in Kleve, Germany
1999–2001 HK-Arnhem, Netherlands
2001–2004 Kunstakademie Düsseldorf
lives and works in Cologne, Germany
2018
Lutz Driessen. Arbeiten auf Papier, Galerie Hammelehle und Ahrens, Cologne
2016
Solo Presentation at Cofa Contemporary, booth Galerie Hammelehle und Ahrens, Cologne
2015
Lutz Driessen. Arbeiten auf Papier, Galerie Jahn, Munich
2014
Hidde van Seggelen Gallery, London
2013
Anbetungssituation, Galerie Hammelehle und Ahrens, Cologne
2012
Lutz Driessen, Deutsche Bundesbank, Frankfurt/Main
Frau, Willem Baars Projects, Amsterdam
2011
Jesses, Galerie Matthias Jahn, Munich
Skulptur, Galerie Matthias Jahn, Munich
2010
Dok25a, Düsseldorf
2009
Pfff..., Galerie Jahn Baaderstrasse, Munich
2008
wrong pipe, Galerie Hammelehle und Ahrens, Cologne
2007
l’Arg, FYW Ausstellungsraum, Cologne
2006
Frucht, Acapulco, Düsseldorf (E)
2005
Bar Ornella
U2, Galerie Klinkhammer und Metzner Düsseldorf
2019
Geheimnis der Dinge. Malstücke (curated by Hartmut Neumann), Kunsthalle Recklinghausen
The Unstrung Harp, Parrotta Contemporary Art, Cologne and Bonn
2018
Geheimnis der Dinge. Malstücke (curated by Hartmut Neumann), Beck & Eggeling International Fine Art, Duesseldorf
2015
followup: K, Schloss Ringenberg, Hamminkeln
2014
O.N.P.A.P.E.R., Galerie Fred Jahn, Munich
Nie Pastille and Lutz Driessen, Sightfenster, Cologne
Bienvenue. Galerie Jahn, Munich
2012
Haschisch lesen, (with Matthias Lehrberger), Parkhaus im Malkastenpark, Düsseldorf
2011
fine line?, Eine zeitgenössische Betrachtung der Zeichnung, KIT Kunst im Tunnel, Düsseldorf
2010
SEX, (with Simon Hemmer and Seb Koberstädt), Aschenbach & Hofland Galleries, Amsterdam
Motif Motif, (with Willem Weismann), Fold Gallery, London
2009
FYW 573 km, Montgomery, Berlin (mit Matthias Schaufler, Tim Berresheim und Thomas Arnolds,
New Positions, Art Cologne, Cologne
DOLCE STANDARDS, Maverick, Cologne
2008
nova swing, (with Morgan Betz), Anna Klinkhammer Galerie, Düsseldorf
wrong pipe, Galerie Hammelehle und Ahrens, Cologne
2007
Bar International, Mittwochsbar, Vienna
Contented Heart, W139, Amsterdam
Institut für zeitgenössische Beobachtungen, Vienna
Regarding Düsseldorf 2, 701 e.V. Düsseldorf
Normal Desires, rm 103, Auckland
2006
Teller und Unterschiebung, Acapulco, Düsseldorf
Denkt Allen, 85 Gallery, Antwerpen
Terrain Vague, Bonner Kunstverein
2005
Bar Ornella, Cologne
unitdéd, de Player, Rotterdam